Das Pörkölt-Dogma der Mutzi

Hiermit lege ich das allheilbringende Pörkölt-Dogma fest. Selbstverständlich haben Sie ein Recht auf Ihre eigene Haltung zum Thema Pörkölt und Gulasch. An dieser Stelle werden die Grundlagen für den ungarischen Rindergulasch, im Folgenden marhapörkölt, behandelt. Das Dogma ist kein Rezept. Für ein gutes Gulaschrezept konsultieren Sie bitte Afra Evenaar.

Allgemeines:

  1. Genaue Mengenangaben können hier nicht gegeben werden. Für die Fleischmenge gilt: unter ein Kilo machen Sie sich nur lächerlich. Für Experimente sind kleinere Mengen zugelassen.
  2. Sie dürfen genau eine Tomate verwenden. Bitte halten Sie anderes Gemüse von dem marhapörkölt fern. Das Dogma lehnt Kartoffeln als Beilage ab. Toleriert wird die Lebensmittelgruppe savanyúság, sauer eingelegtes Gemüse, das sich auf einem separaten Teller befindet.
  3. Sie müssen daneben stehen. Da hilft nichts. Es kursieren Gerüchte über eine niedrigtemperatur-Garmethode im Backofen. Träumen Sie weiter. Ihre Überlebenstaktik heißt: mit Rotwein Löschen.

Fleisch: Was Gulaschfleisch heißt, eignet sich nicht immer für Gulasch. Das Bio-Gulaschfleisch bei Plus zum Beispiel eignet sich nicht für das Projekt marhapörkölt, dafür gut für das Projekt Stew. Das Fleisch darf nicht mager sein. Mageres Fleisch im pörkölt wird ungenießbar.  Das perfekte Gulaschfleisch hat wieder die Afra aufgetan: Schulter oder Bug. Ich erhöhe um ein marhalábszár, das ist vermutlich Wade.  Wenn der Metzger nicht mehr so genau weiß, das Fleisch aber durchwachsen ist, scheint es die richtige Richtung zu sein. In ein marhapörkölt kommt selbstverständlich marha, also Rind. Ein nicht mageres, eher entlegenes Teil vom Rind.
Eine Methode, die sicher zum Erfolg führt, jedoch nur anwendbar ist, wenn man das Fleisch nicht selber bezahlen muss: Sie gehen zum Metzger im KaDeWe, sagen, sie kochen für 4 Personen Gulasch und lassen den Mann machen.
Fazit: man weiß es nicht genau. Tun Sie bitte rein, was reinmuss. Dann garkochen.

Schmalz: muss sein. Schwein wird aus kostengründen bevorzugt,  Gans  toleriert (Luxus).  Alles andere ist Quatsch. Sie können auf Speck ausweichen. Wenn Sie das tun, müssen Sie den Speck bei schwacher Hitze auslassen und dann die festen Speckreste aus dem Fett entfernen. Was jetzt kommt, werden die festen Bestandteile nicht überleben. Wenn Sie ganz weißen Speck nehmen, müssen Sie weniger Fischen. Gegen húsos szalonna, wo Fleisch dabei ist, ist nichts einzuwenden, man fischt dann mehr.

Zwiebeln: unbedingt vöröshagyma nehmen. Die ist aussen rostrot und innen weiß und scharf. Zwei große Zwiebeln sind das absolute Minimum. Wenn Sie das Fleisch nicht separat anbraten wollen, sind drei große Zwiebeln das Maximum. Verwenden Sie mehr Zwiebeln (empfohlen), müssen sie das Fleisch in einem separaten Topf erhitzen. Zwiebeln ganz fein hacken. Die würden so oder so zu Mus kochen, das ist richtig, dennoch macht es einen Unterschied, in welcher Form diese Zwiebeln in den Topf gekommen sind. Die Zwiebeln schmeißen Sie in das sehr heiße Fett und drehen sofort die Hitze zurück oder ziehen den Topf kurz zur Seite. Rühren. Die Zwiebeln werden Flüssigkeit absondern, in dieser Mischung aus Fett und Zwiebelsaft müssen Sie nun die Zwiebeln so gut wie gar kochen, daher die reduzierte Hitze. Wenn Sie das nicht tun oder das ganze zu schnell auf das Fett zurückbrutzeln und die Zwiebeln horribile dictu rösten, wird der Zorn Gottes über Sie kommen. Geübte Gulaschesser sagen dann schon mal: Es ist ganz gut, aber die Zwiebeln hättest Du schon ein wenig länger kochen können (Originalton).

Paprika: die korrekte Maßeinheit für Paprikapulver ist der gehäufte Esslöffel. Das Paprikapulver kommt in die Zwiebel-Fett-Pampe.  Hier wird die Sache etwas kompliziert. Wenn Paprika anbrennt, wird sie bitter. Paprika wird anbrennen, wenn unter den Zwiebeln nur noch Fett ist. Das Fleisch will man aber auch irgendwo anbraten, das geht wiederum besser im Fett. Was nun. Bei kleinen Mengen kann man versuchen schnell genug zu sein. Ich rate ab.

Die Zwei-Topf-Technik nebst Paprikageheimnis:  Sie nehmen den Fett-Zwiebel-Topf vom Herd. Schmeißen den gehäuften Esslöffel Paprika hinein, rühren um und lassen den Topf in Ruhe. Farb- und Geschmacksstoffe der Paprika lösen sich in Fett, während sie das tut, braten Sie das Fleisch in einem anderen Topf an. Die Poren müssen sich schließen. (Müssen sie nicht. Ich werde alt und lerne dazu: Fleisch hat keine Poren. Falls doch: Bitte schließen.) Auf gar keinen Fall darf das Fleisch braun werden. Nirgends. Nicht mal ein klitzekleines Bisschen an der Außenkante. Nein. (Oder doch. Sie wissen schon, ich werde alt. Alt und milde.)

Löschen – Schmoren: Jetzt kommt Flüssigkeit in den marhapörkölt. Zulässige Flüssigkeiten sind Rotwein (erzeugt vörösboros marhapörkölt), Brühe, Wasser (Sparversion), auch in Kombination. Sie können, müssen aber nicht, den marhapörkölt nur in Rotwein kochen. Sie können auf den Wein im pörkölt auch verzichten, die Sache ist aber die: Der Wein ist doch sowieso in der Nähe, Sie stehen stundenlang in der Küche, die Flasche müssen Sie eh früher oder später öffnen. Wenn Sie all das eingesehen haben, löschen Sie nun alles, was des Löschens bedarf, mit Rotwein. Sie Löschen erst das Fleisch, dann holen Sie den ersten Topf wieder auf den heißen Herd und löschen die darin befindlichen  Zwiebel-Fett-Paprika, sollten sie zu schnell zu heiß werden, auch mit Rotwein. Oder tun einfach schnell genug das Fleisch samt Rotwein dazu. Umrühren, Bergfest, löschen Sie sich mit Rotwein. Den pörkölt nun Schmoren in der knappen, dicken Soße. Solange bis gar. Salzzugabe richten Sie an der verwendeten Flüssigkeit aus. An einen Deckel dürfen Sie nicht einmal denken. Pörkölt darf weder anbrennen noch schwimmen, daher stehen Sie daneben und tun genau die Menge Flüssigkeit rein, die reinmuss. Schmorender Pörkölt spritzt nicht in der Gegend rum. Falls doch, Hitze reduzieren. Schmorender pörkölt macht nur leise Geräusche. Ein ungarisches pörkölt sagt „puff, puff, [Pause]  puff“. Sagt es in schneller Folge und ganz oft „puff“, Umrühren, Flüssigkeit hinzugeben. Die ständige Angst, es könnte anbrennen, gehört dazu. Wenn die Angst Sie ernsthaft belastet: mit Rotwein löschen.

Majoran: ja. Esslöffel sind auch hier nicht verkehrt.

Lorbeer: unbedingt. Ich habe Jahre gebraucht, bis ich herausgefunden habe, warum bei mir nichts schmeckt wie zuhause. Großmutter hat das Lorbeerblatt natürlich vor dem Servieren wieder rausgefischt. Also rein damit. Dann rausfischen.

Tomate: genau eine Tomate, in der Mitte druchgeschnitten. Diese Tomate ist ein technisches Hilfsmittel. Ist sie weg, ist der pörkölt fertig. Wenn Sie die Schale finden und rausfischen, wie Afra empfiehlt, haben sie bereits zwei Bestandteile, die das reverse engeneering ihres pörkölts durch unbefugte Personen erheblich erschweren.

Knoblauch: ja. Erscheinungsform freigestellt bis auf Knoblauchcreme aus der Tube. Wenn Sie Knoblauchcreme aus der Tube verwenden, ist der Zorn Gottes noch zu gut für Sie.

Kümmel: in Österreich ein muss, in Ungarn nicht. Empfohlener, nicht-kanonischer Bestandteil. Geschmack und verdauungsfördernde Eigenschaften sprechen für den Kümmel.

scharfe Paprika: wenn, dann nur ein Hauch. Pörkölt soll nicht scharf sein. Gehen Sie deshalb auch mit Pfeffer behutsam um. Angestrebt wird ausgewogene Wärme.

piros arany: beliebt, jedoch optional. Verwendung wie Tomatenmark.

Beilagen: Weißbrot, nokedli bzw. galuska (ähnlich Spätzle, wobei Größe und Form freigestellt), tarhonya (Eiergraupen). Das Dogma lehnt andere Beilagen wie Kartoffeln und Nudeln des Typs „Pasta“ strengstens ab.

Salat: nein. Bei Gurkensalat wird ein Auge zugedrückt.

Savanyúság: ja. Sauer eingelegtes Gemüse wie Apfelpaprika, csalamádé, mit Kraut gefüllte eingelegte Paprika (weiß oder blau), sind empfohlen. Vorteil: Menschen, die gerne unerträglich scharfe Sachen essen, können sich hier ihren Kick abholen.

Erős Pista: in Struktur und Funktion wie Sambal Oelek. Zum individuellen verschärfen. Bitte nicht mitkochen.

tejföl: optional, kanonisch. Der als Klecks auf dem pörkölt sehr beliebte ungarische Sauerrahm hat 40 Prozent Fett. In Deutschland hat nur Schmand 40 Prozent Fett, Schmand ist aber kein Sauerrahm. Experimentelle tejföl-Simulation aus Schmand und Milch liefert bescheidene Ergebnisse.

Das Dogma ist vollständig erfüllt, wenn alle anwesenden Personen sich mit Ihrem feinen pörkölt dermaßen satt gegessen haben, dass sie hauptsächlich mit Atmen (flach) beschäftigt sind. Bei gutem pörkölt geschieht das automatisch.

Wenn die bewirteten Personen wieder in der Lage sind vollständige Sätze zu bilden, ist es an der Zeit, den túrós rétes (Topfenstrudel) in Position zu bringen. Das hat bisher noch jedem den Rest gegeben.

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16 Antworten to “Das Pörkölt-Dogma der Mutzi”

  1. Afra Evenaar Says:

    Zu Dogmen äußere ich mich heute einmal nicht. Aber túrós rétes, wunderbar! Rétes lap gehörte auch zum Standardsortiment „aus Ungarn mitbringen“. Inzwischen gibt es Strudelteigähnliches auch in deutschen Kühltheken.

  2. Mutzi H. Europa Says:

    Réteslap ist im Vergleich zum túró noch ersetzbar. Einigermassen. Aber beim túró hört der Spass endgültig auf.

  3. vilmoskörte Says:

    Noch schlimmer als Knoblauchcreme ist Knoblauchpulver (vermutlich eine praktische deutsche, in Ungarn zu recht unbekannte Erfindung) , das selbst ein alter Freund, den ich früher mal in die Gourmet-Klasse eingereiht habe, bedenken- und schamlos verwendet. Brrrr.

    • Mutzi H. Europa Says:

      Knoblauchpulver hat Ungarn auch. Die ebenfalls wahnsinnig praktische Creme aus dem Hause Unilever, der eindeutig nach Tod riecht und schmeckt, ist aber wesentlich beliebter. Diverse kocka regieren die meisten Küchen, wobei es langsam einen Trend zum kockalosen Kochen gibt.

      Die Sache ist die: Es ist eine löbliche Sache auf dubiose Lebensmittelchemie zu verzichten, aber wenn es schmecken soll, wie bei Großmutter und die Großmutter den Knoblauchpulver in den Eintopf geschmissen hat, führt kein Weg dran vorbei.

      Im fabelhaften Lecso des Herrn Besuch befinden sich gleich drei pörköltkocka. Wenn man dabei zusieht, wird einem anders, wenn man es nicht weiss, tut es einem auch nicht weh. Wenn man den Lecso gegessen hat tut es einem nicht mal dann weh, wenn man es weiß.
      Ich koche nicht mit dem Zeug, lehne aber deshalb auch keine Mahlzeit ab. Und meine Kartoffelsuppe wird im Leben nicht so schmecken wie die von Oma.

  4. kormoranflug Says:

    So viel Dogma von der Oma und der Mutzi! Kann das noch gesund sein?
    Koch doch einfach nach der Tradition und entspanne Dich mit Rotwein.

    • Mutzi H. Europa Says:

      Das Dogma vereint Tradition, Großmutter und gekochte und gegessene Gulascherfahrung. Gesund war das alles noch nie. Ich räume bereitwillig ein auf den Vorschlag „Zitronenschale“ (anderenorts und dann hier) dogmatisch überreagiert zu haben. Jetzt, wo dies niedergelegt is, bin ich pure Entspannung.

  5. lokalreporter Says:

    empfehle, dem >perfekten gulasch< eine facebook-seite einzurichten .. habe noch nie so viel über gulasch gelesen & erfahren – ein wahres dogma!

  6. hotzenplotz Says:

    Ich glaube, dass ich dogmatisches Kochen dem undogmatischen vorziehe. Jetzt endgültig. Für immer.
    Morgen: Risotto dogmatico.

  7. Mutzi H. Europa Says:

    Dann ist das mit den Zitronenschalen geklärt. Sehr gut.

  8. Gulasch « Azestoru und sein Hackblog Says:

    […] einige Dogmakocher sagen, es komme keine Zitronenschale dran! Soll ich etwa Vincent Klink […]

  9. Mutterküche « Laubgeschwätz Says:

    […] Semmelknödel waren fast perfekt. Das Gulasch auch. Ziemlich undogmatisch habe ich hier geguckt und mich an diese Menge Zwiebeln gehalten sowie das Reinheitsgebot beachtet (kein anderes […]

  10. Sequenzer Says:

    Großartig beschrieben, auch wenn Fleisch keine Poren hat, sich also auch nicht schließen.

  11. Der letzte Rosmarin oder ein beiläufiger Verriss in einem Satz « Utecht schreibt Says:

    […] ich ja häufig gegen Dogmen handele – bisweilen aber auch nicht – habe ich einer ebenfalls noch der adäquaten Verwendung harrenden Aubergine  ein […]

  12. Michael L. Says:

    Sowohl eine ungarische Hausfrau, als auch ein ungarischer Koch sagten mir, daß sie die Rindfleischwürfel in einer Schüssel mit kaltem Wasser aufbewahren, aus welcher sie das triefnasse Fleisch OHNE es an zu braten, direkt in die weichgedünsteten, paprizierten und mit VIEL Kümmel, und Lorbeer gewürzten Zwiebeln legen, worin sie dann locker drei Stunden köcheln. Ein großes Stück durchwachsenen Räucherspeck, als zusätzliche Würze mit schmoren lassen! Der Deckel war bei der Hausfrau ERWÜNSCHT und nach meiner Erfahrung auch sehr hilfreich. Als Beilage bevorzuge ich ein SAKRILEG: In Sahne gratinierte Kartoffeln, Asche auf mein genusssüchtiges Haupt! Außerdem den erwähnten Gurkensalat. Und wie heisst es in dem Film, Ich denke oft an Piroschka, zum Thema Schärfe? „Gulasch (Pörkölt) muß zweimal brennen. Erstemal in Mund, zweitemal in Popo!“ Ein wenig Sauerrahm dazu, wie sonst der Senf auf der Wurst, mildert ein wenig. Viel Spaß damit und herzliche Grüße!

  13. WBD 2014: Steamed Flower Buns | missboulette Says:

    […] man diese gedämpften Hefebrötchen sonst noch essen könnte: Ich habe stundenlang streng nach dem Pörkölt-Dogma mein erstes Schmorgericht der Saison gekocht, nur um am Ende ganz frei und subversiv einen dieser […]

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