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Hausfrauenstück

27. Mai 2010

Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Torte gebacken, Sie sind verwandt oder verschwägert mit den Menschen, die sie essen sollen, stehen da, schneiden die Torte an und servieren sie. Je nach Anlass und dem zu erwartenden Erbe haben Sie eigens den Tortenheber aufpoliert oder nicht. Wie jeder andere Mensch auch, können Sie Tortenstücke viel besser auf dem Messer als auf einem Tortenheber balancieren. Ob mit Tortenheber oder ohne, Sie werden von allen Seiten angeschrien, alle wollen nur ein kleines Stückchen aber so klein dann auch wieder nicht. Während Sie versuchen die Differenz zwischen Tante Ellis Bedürfnis schlanker zu sein als sie je sein wird und ihren Erwartungen an Sie als Gastgeber in Zentimeter umzurechnen, fällt das Stück Torte um, mit Schwung, die Glasur bröckelt ab, das Stück Torte ist unschön und dann wird es geschehen, Sie werden sagen, dass Sie das nehmen und schneiden für Tante Elli ein anderes, ein schönes Stück Torte ab. Dann essen Sie das umgefallene Stück Torte, es ist überhaupt nicht schlimm und nennt sich Hausfrauenstück.

Sie essen auch das etwas angebrannte Endstück vom Braten, die eine Portion Pudding, die sich nicht einwandfrei stürzen ließ  und das verunglückte Spiegelei. Das wiederum nennt sich Muster. Das alles tun Sie, weil Sie nett sind. Weil Sie Tante Elli beeindrucken wollen  und nicht sich selber, weil zwischen hübschen und unhübschen Tortenstücken im Wesentlichen kein Unterschied besteht.  Es macht Sinn bis es keinen mehr macht. Irgendwann, vor Anbeginn der Zeit, haben wir gelernt, dass man Menschen am ehesten vermitteln kann, dass man nett ist, wenn man sie bevorzugt. Der einfachste Weg jemandem zu beweisen, dass er bevorzugt wird, ist sich  selber gekonnt einen Nachteil zuzuspielen. Das ist das Prinzip des Hausfrauenstücks. Sie haben Heimvorteil, wenn Sie das Hausfrauenstück geschickt als Waffe einsetzen, ist Tante Elli in drei Zügen matt. Operation „Erbonkel“ hat freie Bahn.

Das Hausfrauenstück ist Macht, Macht hat ihren Preis. Häufige Anwendung führt zum Gewöhnungseffekt. Missbrauch rächt sich böse bei der Entwöhnung. Die meisten Leute auf Hausfrauenstück-Entzug beschließen nur noch zu sich selbst nett zu sein. Traditionell rächt sich das Hausfrauenstück in Form der logischen Reihe frustrierte Hausfrau – bekloppter Therapeut – Scheidungsanwalt. Die alten Zeiten sind vorbei, auch Männer essen das verbrannte Stück Rösti und finden es halb so schlimm.

Es ist ja auch halb so schlimm. Nettsein ist ganz supi, keine Frage. Sich ohne Not opfern bei irgendwelchem belanglosen Scheiß ist nicht unbedingt schlau, erfüllt aber seinen sozialen Zweck und unterliegt einer Abwägungsentscheidung.

Die Sache ist die: das Hausfrauenstück ist im Grunde harmlos. Als Waffe eingesetzt verwandelt sich aber auch das harmloseste Ding in ein verfluchtes Ding. Wenn Sie es übertreiben, geht der Fluch über auf Sie. Selbst wenn Sie es nicht tun, das  Hausfrauenstück verselbstständigt sich und  führt sehr genau Buch.  Sie werden zu kurz kommen und niemand,  wirklich niemand wird schuld sein.

Bitte beachten Sie: wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen (Matthäus 26:52).

Selbstverständlich gibt es einen Trick. Der Trick ist aufzuhören, solange Sie noch können. Bevorzugen Sie sich selbst bei irgendwelchem belanglosen Scheiß in willkürlichen Abständen. Und wenn Sie  Frühjahrsputz machen, fangen Sie um Gottes Willen, ein einziges Mal, nur so zur Abwechslung mit Ihrem eigenen Zimmer an.